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Rezensionen:Wie man richtig gut lebt - Rainer Erlinger

Der promovierte Mediziner und Jurist Rainer Erlinger, der den Lesern der "Süddeutschen Zeitung" durch seine allwöchentliche Kolumne "Die Gewissensfrage" bekannt sein dürfte, in der er große und kleine Ethikprobleme erörtert, ist der Autor des vorliegenden Buches. Ich kenne die Kolumnen nicht, da ich FAZ-Leserin bin und bin insofern durch das vorliegende Buch auf einen mir bislang unbekannten Autor gestoßen.

In der Einleitung habe ich erfahren, dass Dr. Dr. Erlinger bereits 500 Kolumnen in der Süddeutschen Zeitung verfasst hat, dazu kommen Radiokolumnen bei verschiedenen Sendern, Fernsehbeiträge, Lesungen, Besuche in Schulen, Podiumsdiskussionen, Talkshows und eine Gastprofessor an der philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät in Augsburg, (vgl.: S. 18). All das war mir nicht bekannt, bis vor wenigen Wochen.

Der Autor möchte keine neue Moral entwerfen, auch keine Einführung in die Ethik schreiben oder mit wissenschaftlich universitärem Anspruch eine Auseinandersetzung mit verschiedenen ethischen Theorien leisten. Stattdessen will er versuchen für die Bereiche, in denen man immer wieder vor Fragen steht, Zusammenhänge darzulegen und vermitteln, welche moralischen Grundsätze wichtig sind, (vgl.: S.19).
Sein Buch untergliedert Erlinger in:

Grundsätzliches (hier schreibt er über Egoismus, über die Lüge, über Toleranz, über ethische Theorien und über Recht und Moral)

Moral und Alltagsleben (hier geht es um: Höflichkeit und Manieren, Sexualität und Beziehung, Konsum und Geld, Soziales, Gemeingut, Familie und Freundschaft, Tiere, Umwelt und Natur)

Grundpfeiler einer zeitgemäßen Moral (Themen sind Achtung, Verständnis, Rücksicht)

Ein aufschlussreicher Epilog rundet die genannten Reflexionen des Autors dann ab.

Auf die einzelnen Punkte im Rahmen einer Rezension einzugehen führt zu weit, also hebe ich den ein oder anderen Gedanken hervor, den ich für besonders wichtig erachte. Gefallen hat mir, dass Erlinger seine Überlegungen mit Beispielen aus der Realität in Verbindung bringt und damit klar macht, dass es bei Moral nicht um ein gedankliches Konstrukt geht, sondern um sinnvolles Verhalten, das das Zusammenleben erträglicher gestaltet. Es geht insofern um Abwägungen, die immer auf der Grundlage des Respektes und der Achtung seiner Gegenüber getroffen werden sollten.

Beim Thema "Lüge" fand ich den Hinweis auf Kant (S.42-43) interessant. Kant sah in Lügnern nämlich bloße Sprachmaschinen. Erlinger hinterfragt den Gedanken und gelangt zum Ergebnis, dass die Lüge die Sprache eines Teils ihrer Funktion als Möglichkeit des Gedanken- und Informationsaustausches beraubt. André Comte Sponville betont jedoch, dass die Wahrhaftigkeit keine Pflicht sei, ganz gleich, was Kant darüber denkt. Es stimmt, setzt man die Aufrichtigkeit absolut, dann ist sie nur noch kalte, todbringende, abscheuliche Wahrhaftigkeit. Das sei nicht mehr Aufrichtigkeit, sondern Wahrhaftigkeitswahn, (vgl.: S.49).

Dieses Wahnhafte, mit der Moralapostel ihren Kreuzzug gegen alles beginnen, was nicht absolut in ihr Moralschema passt, deckt Erlinger in seinem Buch gut auf. Ihm geht es stets um Ab- und Zugeben, um einen toleranten Umgang mit Moral. Für ihn stehen die Menschen, die Tiere und die Natur im Mittelpunkt und nicht die Moral. Im Falle der Lüge meint er zu Recht, man müsse immer zwei Aspekte mit einbeziehen: "auf der einen Seite die Überlegung, dass jede Lüge den Belogenen in seiner Freiheit einschränkt und manipuliert und das Prinzip "Verletze niemand", sowie das Recht sich zu verteidigen. Dazwischen liegt die richtige Lösung für den konkreten Fall", (Zitat: S.52).

In puncto Toleranz kann es keine Toleranz gegenüber Missachtung von Grundrechten geben, damit endet die Meinungsfreiheit z.B. dort, wo Dritte verleumdet werden.

Interessant ist die kurze Abhandlung ethischer Theorien. Natürlich kann man hier auch Kants Zweckformel nachlesen, in der ich den Schlüssel für ein positives Zusammenleben sehe: "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals als Mittel brauchest." Wenn ich merke, dass mich jemand als Mittel zu benutzen sucht, erfolgt bei mir der sofortige Kontaktabbruch. Dies halte ich moralisch vertretbar.


Gefallen hat mir, dass Erlinger John Rawls erwähnt, den ich sehr schätze und hier dessen Grundsätze der Gerechtigkeit reflektiert.


Erlingers Überlegungen zur Moral im Alltagsleben sind überaus lesenswert. Ich stimme ihm in allen Punkten zu, auch in dem Gedanken, dass Pünktlichkeit das Prinzip der Wertschätzung im wahrsten Sinne zeigt. "Wer den anderen warten lässt, schätzt ihn nicht wertvoll genug, um sich seinetwegen zu beeilen oder auch nur seine Zeit einzuteilen."(Zitat: S. 130). Mir ist im Laufe meines Lebens aufgefallen, dass geltungssüchtige Menschen andere gerne warten lassen, es ihnen also weniger darum geht, dem Wartenden die Wertschätzung zu entziehen, sondern mehr darum, dem eigenen Egovögelchen Wasser zu geben.:-)) Grundsätzlich ändert dies an der Tatsache jedoch nichts, dass Pünktlichkeit das Prinzip der Wertschätzung im wahrsten Sinne verkörpert.

Alles in allem ein gutes Buch, das verdeutlicht, dass man sich davor hüten sollte, in den Moralwahnsinn zu verfallen, an dem Moralapostel leiden, sondern sein Verhalten immer auf der Grundlage von Achtung und Respekt sich und seinen Mitmenschen gegenüber ausrichten sollte.

Empfehlenswert.


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Rezension: Wenn Kinder den Kontakt abbrechen: Hilfestellung und Strategien einer verlassenen Mutter (Taschenbuch)

Vor noch nicht allzu langer Zeit habe "Funkstille" von Tina Solimann rezensiert. Zum gleichen Thema hat die Diplompolitologin und Dozentin Angelika Kindt ebenfalls ein Buch verfasst. Kindt ist eine Betroffene. Sie wurde ohne Vorwarnung von ihrer Tochter Maya verlassen, die ihr schriftlich das "Eltern-Kind-Verhältnis" aufkündigte.

Das vorliegende Buch "Wenn Kinder den Kontakt abbrechen" ist ein Erfahrungsbericht der verlassenen Mutter, die auch die Erfahrung anderer ähnlich Betroffener schildert, bevor sie die Frage zu beantworten sucht, wer die Eltern sind, die verlassen werden und wie diese Eltern reagieren. So geben betroffene Eltern sich beispielsweise gerne gegenseitig die Schuld und nicht selten sind es die Frauen, die besagte Schuld allein auf sich laden, weil sie ein idealisiertes Bild in sich tragen, wie die perfekte Mutter auszusehen hat, (vgl.: S.83).

Die große Frage des Warum steht natürlich im Raum, darüber schreibt die Autorin ebenso, wie über Elternrollen, das Mutterbild, die Rolle der Väter und vieles andere psychologisch Bedeutsame mehr, um sich und den Lesern schließlich klar zu machen, was Kommunikation eigentlich bedeutet, damit man den Kommunikationsabbruch besser verstehen kann.

Kindt unterstreicht, dass Kommunikation ununterbrochen stattfindet, mit Worten, Gesten, Blicken, der Körperhaltung, dem Tonfall, den wir in unsere Stimme legen. Doch das Gesagte genügt nicht für das gegenseitige Verständnis. Diskrepanzen zwischen gesprochenen Worten und nonverbalen Äußerungen können Unsicherheit und Irritation zur Folge haben. Es ist demnach wichtig, sich klar zu machen, was man kommunizieren möchte und dies sollte man dann auch stimmig zum Ausdruck zu bringen. Konkret heißt das, sich nicht zu verstellen, sondern respektvoll das zu sagen, was man fühlt, (vgl.: S 112).

Die Autorin thematisiert Verweigerung als Form der Kommunikation und auch die Trauerarbeit als Phasen des Verlustes. Hier kommen zur Sprache:

Die Verleugnungsphase
Die Phase der Verbitterung
Die Phase der Verhandlung
Die Akzeptanz

Mir hat gefallen, wie Kindt Menschen, die Ähnliches erleben oder erlebt haben, Mut macht, Betroffene auch zur Reflektion anregt, um durch Verstehen verzeihen und loszulassen zu erlernen. Unversöhnlichkeit führt zu unnötiger Verbitterung sowie Verhärtung und wird der vormals bestandenen Beziehung nicht gerecht.

So sehr es auch schmerzt, man muss Kontaktabbrüche akzeptieren und lernen, diese hinzunehmen, auch wenn man nicht begreift, was der Auslöser für das Verhalten war. Lernen kann man nur für das Jetzt sowie für die Zukunft und hier zeigt die Autorin einen Weg. Dieser Weg ist auf Achtsamkeit begründet. Besagte Achtsamkeit sollte man m.E. in allen Interaktionen an oberste Stelle setzen, wenn man an langandauernden Beziehungen interessiert ist.


Wer schon etwas länger lebt, weiß, dass man diesbezüglich viele Fehler machen kann. Leben Eltern von ihren erwachsenen Kindern getrennt, sollten sie m.E. nicht nur über das Internet kommunizieren, sondern mit den Kindern auch telefonieren. Internetkommunikation ist sehr tückisch. Nirgendwo sonst sind die Missverständnisse so erheblich, nirgendwo sonst finden so viele abrupte Kontaktabbrüche statt.
Empfehlenswert.

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Rezension: Adel des Geistes- Rob Riemann

 Dem Klappentext ist zu entnehmen, dass Rob Riemen, der Autor dieses Buches, Gründer und Präsident des Nexus Institutes in den Niederlanden ist. Bei dem Institut handelt es sich um ein internationales Zentrum für die Debatte sozialer, philosophischer und künstlerischer Themen. Das vorliegende Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Es befasst sich mit dem so genannten "Adel des Geistes", der in den Augen des Autors weit mehr ist als ein Gelehrsamkeitsideal des 16. Jahrhunderts. Derjenige kann ihn erwerben, für den Wahrheit, Freiheit und Würde die höchsten Werte darstellen, die in seinem gesamten Tun erste Bedingung seines Handelns sein müssen.

Riemen hat vier Essays zu dem Thema verfasst. Im ersten Essay berichtet er von seiner Begegnung mit Elisabeth Mann Borgese, der jüngsten Tochter von Thomas Mann und deren Freund Joseph Goodmann. Ich möchte die Begegnung nicht episch breit nacherzählen, während der man viel über das Denken Elisabeths und des hochgebildeten Musikers aber auch über Goodmans großes Vorbild Whiteman erfährt, für den bereits klar war, dass ein System, politische Institutionen und ein Stimmrecht noch keine tatsächlichen Garanten für eine wahre Demokratie darstellen. Whiteman beschrieb, wie man erfährt, die Verluderung und Korruption der Wirtschaftselite, den mangelnden Gemeinsinn und die zunehmende Vulgarität, Heuchelei und Dummheit, die mit eine erfolgreichen materiellen Entwicklung einhergehen, (vgl. S.25). Ich kenne die Texte des amerikanischen Dichters, der von 1819-1892 lebte, nicht, werde mich mit diesem jedoch demnächst beschäftigen. Whiteman wusste offenbar, dass das Leben als Suche nach Wahrheit und Schönheit, dem Guten und der Liebe begriffen werden sollte, weil dies die Kunst des Menschwerdens, die Kultivierung der menschlichen Seele ist, (vgl.: S.25). Das sehe ich auch so.

Joseph Goodman, der, in der Art und Weise, wie ihn Riemen beschreibt, über Adel des Geistes verfügte, besaß ein ethisches Grundverständis, das weit zurückreicht und halt macht bei Spinoza, dessen Ethik Riemen hervorragend zusammenfasst. Riemen erkennt, dass die Freiheitsstatue in New York im Grunde eine symbolische Tochter von Spinoza sein könnte. Riemen schreibt von der Liebe zu Weisheit und davon, dass Spinoza bereits erkannte, dass Wahrheit und Freiheit unlösbar miteinander verbunden sind und dass derjenige, der nicht frei ist, die Wahrheit nicht leben darf, (vgl.: S. 35). Spinoza auch wusste schon, dass das wahre Denken Unabhängigkeit erforderlich macht und Macht und Geld die Freiheit letztlich nur einschränken.

Riemen macht deutlich, was Spinoza Goethe durch sein Werk lehrte und was es nach Spinoza bedeutet, Mensch zu sein. Nur wer sich weder durch Begierden, Reichtum, Ehrgeiz und Macht, noch durch Furcht beherrschen lässt, sondern sich durch das Bleibende, wahre Gute leiten lässt, hat sich geistige Freiheit und somit wahre Freiheit erworben, (vgl.: S.38). In diesem Sinne ist der Protagonist des 1. Essays Joseph Goodman, wie man ihn durch die Beschreibung Rob Riemens kennenlernt, ein Mensch, der über wahre Freiheit verfügte und insofern sich glücklich schätzen konnte, Adel im Geiste erworben zu haben.


Riemen schreibt in der Folge von Thomas Mann, der 1945 einen Sammelband mit dem Titel "Adel des Geistes. Sechszehn Versuche zum Problem der Humanität" herausgab. Im Essay Riemens "Thomas Mann und seine Zeit" lernt man Manns philosophische Entwicklung im Hinblick auf den Begriff Wahrheit kennen und erfährt von dessen "Betrachtungen eines Unpolitischen", in denen er sich nach dem ersten Weltkrieg mit der Frage auseinandersetze, ob seine Auffassungen über den Menschen, die Kunst, die Wahrheit und die Moral nicht ihre Gültigkeit verloren haben, (vgl.: S.50). Mann erkannte, dass Kultur zur Barbarei verkommt, wenn man politische-gesellschaftliche Entwicklungen ignoriert. Für Thomas Mann stellte die Wahrheit keinen empirischen oder mathematischen Begriff dar, sondern sie ist Maß und Wert, das Ideal nach dem jeder Mensch streben sollte, (vgl.: S.59). Man erfährt von Manns Anliegen in seinem "Dr.Faustus", in der es um intellektuellen Hochmut und moralische Blindheit geht. Die Rede ist von der Nachbarschaft von Ästhetizismus und Barbarei als Folge des Kultes um Kunst, der Wahnidee, dass der Mensch sich selbst erlösen könne, (vgl.: S 64). Solche Ideen führen nicht zum Adel des Geistes, der ohne Demut nicht zu erreichen ist.

Rob Riemen schreibt von Sokrates und Platon, sucht bei vielen Philosophen, Baltasar Gracian, Camus, Sartre, Nietzsche etc. nach Antworten. Ist der 11.September ein Angriff auf unsere Kultur oder die Konsequenz eines Mangels an Kultur? (Zitat. S. 85). Ich finde, dies ist eine sehr gute Frage, mittels derer man sich dem Mangel an Adel des Geistes im Hier und Jetzt bestens nähern kann.

Wenn Spaß und Genuss das Bewusstsein für Gut und Böse ersetzen, wird es schwierig sein, Adel des Geistes zu erwerben. Die Menschen sind nicht mehr durch universale Werte miteinander verbunden sein, sondern sie bestehen nur noch aus einer Ansammlung von egomanen Einzelwesen. Wir alle haben- und das macht das Buch deutlich- eine Verantwortung im Hinblick auf intellektuelle Integrität. Wir dürfen den Adel des Geistes nicht verraten, weil nur er den Fortbestand der Menschheit garantiert.

Läuten wir also das Ende der Spaß- und Genussgesellschaft ein und kümmern wir uns um die universalen Werte.

Empfehlenswert.


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