Dieses Blog durchsuchen

Rezension: Zeiten der Entscheidung-Ermutigungen-Viktor E. Frankl, Elisabeth Lukas



Dr. med., Dr. Phil., Dr. h.c. mult. Viktor Frankl (1905-1997) war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und Gastprofessor an einigen sehr renommierten Universitäten. Die von ihm entwickelte "Logotherapie und Existenzanalyse" gilt als sinnzentrierte Richtung der Psychotherapie. Logotherapie-Institute und Gesellschaften in der ganzen Welt führen Frankls Werk weiter. 

Das vorliegende Buch enthält eine Vielzahl von Texten Frankls, der, dies darf im Vorfeld nicht unerwähnt bleiben, während der NS-Zeit in verschiedenen KZs inhaftiert war, diese überlebte und trotz allem, was er erlebte, sich für Aussöhnung aussprach. 

Bei den Texten handelt es sich um zentrale Einsichten und Impulse aus dem Lebenswerk Frankls. Diese Texte sind alle seitens seiner Schülerin, der klinischen Psychologin Elisabeth Lukas, kommentiert worden. Sie auch hat das Nachwort verfasst, in dem sie sagt, dass Frankl als "Kenner der Ohnmacht" sich bereits in seinem ersten Buch, das 1949 erschien, als "Zeuge der Trotzmacht des Geistes" zur Verfügung gestellt habe. Er, der körperliches und seelisches Elend bis über das Ausmaß des Vorstellbaren hinaus zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, bürge für die würdevollsten Ressourcen der geistigen Person in ihren – teilweise letzten-Freiräumen." Frankls Schriften seien von zeitloser Gültigkeit und in unseren Zeiten aktueller denn je. Diesem Urteil stimme ich zu. 

Nach dessen Auffassung seien es nicht die Rationalität und Intellektualität, die den Menschen speziell auszeichnen, sondern vielmehr die "Freiheit des Willens" und der "Wille zum Sinn", die die menschliche Existenz charakterisieren. Dank seiner geistigen Fähigkeiten, so Frankl, könne der Mensch in jedem (bewussten) Augenblick zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Werden sie nicht ergriffen, verfallen sie im Nichts. Eine ergriffene Möglichkeit verwandelte sich in ein Stück Wirklichkeit. Alles von uns Erwählte werde ins Sein der Wirklichkeit "geschöpft".  Es besteht, so Frankl, eine menschliche Verantwortung im Hinblick auf die Wahl der Möglichkeiten. 

Es sind unterschiedliche Themen im Buch, die als Impulsgeber dienen, so etwa die Frage der Lebensbejahung. Hier zitiert Frankl den Dichter Rabindranath Tagore: 

Ich schlief und träumte, 
das Leben wäre Freude. 

Ich erwachte und sah, 
das Leben war Pflicht.

Ich arbeitete- und, siehe: 
die Pflicht war Freude.

Frankl verdeutlicht in seinem Text, dass Glück dürfe und solle niemals Ziel sein, sondern Ergebnis: "Ergebnis eben der Erfüllung dessen, was im Gedicht von Tagore Pflicht heißt."

Ein  weiteres Thema ist die Verwandlung eines Leidens in menschliche Leistung. Hier zeigt Frankl an einem Beispiel wie ein Mensch seinem schicksalhaften körperlichen Handicap trotzt und großartige Leistungen vollbringt. Vieles ist möglich, wenn man erkennt, dass selbst in den widrigsten Situationen auch Positives – wie durch ein Wunder- geschehen kann und neben Verzweiflung, so Frankl, (oft unbemerkt) auch Gründe zur Dankbarkeit vorhanden sind. 

Im Dulden müsse man die größte Leistung sehen, wenn eine Situation nichts anderes zulasse. In der Ohnmacht werde Duldung zur Leistung. Bei einem Totkranken ist dies beispielsweise so. In dessen Situation relativiert sich vormaliges Streben. Besitztümer und gehobene Positionen werden als wertlos begriffen. In der Einsamkeit der Krankheit leuchteten dann andere – die wahren- Werte auf, so etwa Beziehungen zu bestimmten Menschen aber auch zur Musik oder Natur. 

Frankl erzählt berührend von einer Frau, die im KZ ihre neun Kinder verlor und berichtet, wie sie diese Tragödie in ihrem späteren Leben verkraftet hat. Sie übernahm in Israel die Leitung eines Waisenhauses, stärkte sich  also durch eine sinnvolle Aufgabe. 

Wichtig wohl ist, dass man sich nicht selbst pausenlos bespiegelt, sondern sich nach außen richtet und der Mit- und Umwelt zuwendet, sich engagiert. Verzweiflung sei ein Zustand, den man überwinden sollte. Dies geschehe am besten, wenn man begreift, dass alles, was uns zufließt und wir besitzen nur Geschenke auf Zeit sind, auch die Gesundheit und das Leben selbst. 

Dass man aktiv bleibt, selbst in dunklen Zeiten und aus seinem Tun die Kraft schöpft, sie zu überstehen oder zu überwinden, dieses Tun sinnvoll sein sollte, um lebenstüchtig zu bleiben, darum geht es und das hilft auch in extremen Lebenssituationen. 

Maximal empfehlenswert. 

Helga König 

Onlinebestellung bitte hier klicken: Benevento oder Amazon

Rezension: Die Kraft der Kriegsenkel- Ingrid Meyer-Legrand-Europa Pocket



Die systemische Therapeutin Ingrid-Meyer Legrand befasst sich in diesem Buch mit den Kriegsenkeln, sprich den Menschen, deren Eltern oder zumindest ein Elternteil im 2. Weltkrieg noch Kinder waren und als solche traumatisiert wurden durch die Erlebnisse aus jenen Tagen. 

Die Lebenserzählung der Kriegsenkel, so die Autorin, kreise nicht selten um das von Eltern erfahrene Leid und ihr eigenes Bemühen, als Kinder für die Eltern da zu sein und zwar seit Beginn ihres Lebens. Früh bereits hätten die Kriegsenkel im Zusammenleben mit den kriegstraumatisierten Eltern Kompetenzen erworben,  mit an Leib und Seele verletzten Menschen umzugehen. 

Viele Kriegsenkel, so die Beobachtung Meyer-Legrans in ihrer Praxis, zeigten sich zutiefst verunsichert, zweifelten an sich selbst und meinten keine Existenzberechtigung zu haben. Sie fühlten sich bis heute entwurzelt, und nicht wenige rastlos und getrieben. Sie litten entweder unter völligem Stillstand oder arbeiteten bis zum Umfallen. Auch wenn viele erfolgreich im Beruf seien, klagten sie über Leere und darüber, dass sich dennoch keine Zufriedenheit einstelle. 

Auch gäbe es nicht wenige, die sich fragten, ob sie es überhaupt wert seien, Erfolg zu haben, vor allem, ob sie erfolgreicher als ihr Vater oder ihre Mutter sein dürften, denen Ausbildungsmöglichkeiten fehlten und die stattdessen mit schlimmen Erlebnissen während des Krieges und auf der Flucht konfrontiert waren.

Eine typische Kriegsenkel-Biografie ist in einem häufig unerkannten Ausmaß von schwierigem Aufwachsen der Eltern und deren leidvollen Erfahrungen während der NS- und Kriegszeit geprägt. 

Die Autorin beschreibt viele Fallbeispiele und macht auch bewusst, dass die Kriegskinder des Zweiten Weltkrieges die Nachkommen der Kriegskinder des Ersten Weltkrieges sind und  sie berichtet sehr gut darüber, was das bedeutet. Des Weiteren schreibt sie über das nationalsozialistische Erziehungsideal. Die Nazis wollten Menschen heranwachsen sehen, die gewalttätig, herrisch und grausam waren, bei denen schlussendlich alles Schwache und Zärtliche ausgemerzt war. Wie die Autorin schreibt, sollten nicht nur Gefühle der Schwäche eliminiert werden, sondern jegliches Gefühl. Für Staat und Partei seien Menschen gebraucht worden, die gehorchten und Befehle erfüllten. Das Mittel der Wahl waren Demütigungen und harte Arbeit. Die Erziehung in der NS-Zeit setzte auf totale Anpassung, Gehorsam und auf Selbstaufgabe. Es wundert also nicht, dass viele Kriegskinder sich bis heute nicht vorstellen können, eigene Gefühle zu haben. 

Für viele dieser traumatisierten Kriegs- und Flüchtlingskinder, die an Leib und Seele verletzt waren, gab es keine Hilfe, denn ihr Leid wurde nicht gesehen. Die Kriegs- und Fluchterfahrungen von Kindern, die in dieser Zeit extremer Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgesetzt waren, haben sie traumatisiert. Die Kriegsenkel wurden, so Meyer Legrand, in den Traumatabewältigungsprozess hineingezogen. Auf diese Weise sei es nicht selten zur sekundären Traumatisierung gekommen. So erlebten Kriegsenkel die Ängste und Unsicherheiten ihrer Eltern, ohne von diesen je gehört und ohne von den dazugehörenden Ereignissen gewusst zu haben.

Die Sprachlosigkeit zwischen den Kriegskindern und Kriegsenkeln ließ und lässt die Probleme nicht auflösen. So konnten und können die Enkel ihren Eltern  sich nicht wirklich begegnen, sondern sich letztlich nur zur Verfügung stellen. Beziehungen einzugehen, bedeute für sie, immerfort leisten zu müssen. Eigene Interessen und Bedürfnisse seien für sie nicht legitim. Oftmals würden sie diese gar nicht kennen. Sie erlebten sich innerlich von ihren Eltern besetzt.

Die Autorin erlebt in Gesprächen mit den Kriegsenkeln oft etwas Hölzernes und Ungeübtes in der Wahrnehmung und Handhabung der eigenen Interessen und in der Kommunikation mit anderen. Kriegsenkel besäßen oft mehrere Ausbildungen, mehr als ein Studium und unzählige Weiterbildungen. Auch dies erkläre sich aus ihrer Beziehung zu ihren Eltern und dem daraus sich ergebenden Leistungswillen. 

Meyer- Lengrand hat eine sehr hilfreiche biografische Arbeitsweise entwickelt-  das sogenannte Storyboard-, wonach Kriegsenkel den roten Faden im eigenen Leben erkennen können und  ihre eigenen Leistungen zu schätzen lernen, um auf diese Weise ihre einzigartigen Kompetenzen als Chance und Kraftquelle zu nutzen. Anhand von zahlreichen Beispielen wird sehr gut vermittelt, wie dies funktioniert. 

Maximal empfehlenswert

Helga König

Onlinebestellung bitte hier klicken: Europa-Pocket oder Amazon