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Rezension: #Tugend- Über das, was uns Halt gibt- #Reimer_Gronemeyer- Edition Körber

#Reimer_Gronemeyer ist promovierter Theologe und Soziologe. Er ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort wurde er 2018 zum Ehrensenator ernannt. Der Autor zahlreicher Sachbücher befasst sich in seinem jüngsten, hier vorliegenden Werk mit #Tugenden und fragt nicht grundlos in seiner Einleitung, ob diese ein erledigter Fall seien. Vieles sähe nämlich danach aus, als seien zumindest die alten Tugenden dem Untergang geweiht, weil sie nicht mehr in eine Zukunft passten, die von #Computeralgorithmen und #Biowissenschaften geprägt sei.

Alte Tugenden? Was versteht man darunter?

Gronemeyer nennt #Tapferkeit, #Klugheit, #Gerechtigkeit und #Mäßigung. Diese stammen aus der Antike. Dazu kommen die christlichen Tugenden: #Glaube, #Liebe #Hoffnung und neben diesen  sieben alten Tugenden noch die drei Tugenden der Industriegesellschaft: #Fleiß, #Gehorsam und #Sparsamkeit. All diese Tugenden seien in jüngster Zeit über Bord geworfen worden, zu Gunsten der postmoralischen "Tugenden" #Konkurrenz und #Optimierung.

Der Autor möchte sich in seinem Werk auf die Suche nach neuen Tugenden machen, die mittels kluger Selbstbegrenzung auf die entfesselte Konsumgesellschaft reagieren. Im Denkmodus dieser Gesellschaft sei die eigentlich einzig wirkliche Tugend der möglichst exzessive Verbrauch. Der Homo consumens lebe mit den Lastern von einst besser als mit den alten Tugenden. Bescheidenheit, Sparen und Treue passen scheinbar auch nicht mehr. 

Die neue Beliebigkeit in Beziehungen, - eine Folge des Abschwörens von den alten Tugenden, die Flucht aus der Familie, aus den engen nachbarschaftlichen Milieus, ende in der Sackgasse einer nie dagewesenen massenhaften Einsamkeit. Die Leistungsgesellschaft, in der wir heute leben, sei der Sprengsatz für Gemeinschaftlichkeit und Gemeinsinn, sie löse die Gemeinschaft auf, reiße den Einzelnen gewissermaßen heraus und forme ihn zum konkurrierenden Single. Es entstünden Lebenswelten ohne hinreichende Bindungskräfte, Singelwelten, die ihre Weltbilder über Tinder und Facebook realisierten, oder aber reaktionäre, territorial orientierte Wagenburgen, die sich verzweifelt gegen Fremdes wehrten. Dies entspricht auch meiner Wahrnehmung. 

Der Autor schreibt davon, dass die Kinderarmut in Deutschland zugenommen habe und zitiert Jörg Dräger, der konkret sagt, dass "Kinderarmut in Deutschland ein Dauerzustand" sei. Reimer Gronemeyer erwähnt auch Ilja Trojanow, der die Leser wissen lässt "Wenn die globalen Durchschnittstemperaturen so steigen wie zuletzt, werden bis zum Jahre 2030 mehr als hundert Millionen Menschen an den direkten Folgen- Dürre- Trinkwassermangel, Ernteausfall, Armut und Krankheit- sterben."  Warum wird all dies hingenommen? Mangelt es an  neuen Tugenden, die uns den Weg zeigen?

Weil unsere Gewissheiten destabilisiert seien, bräuchten wir neue Tugenden als dynamische, prozessuale, zwischenmenschliche Kräfte. Das leuchtet ein. #Empathie sei möglicherweise die wichtigste neue Tugend "in einer vom Wahn des Konsums, des Geldes und der bezahlten Leistung beherrschten späten Moderne."Aber auch "#Umsonstigkeit" sei wichtig, gemeint sei das, was man früher als Gnade bezeichnet habe. Diese Gnade allein könne die vertrocknenden Seelen in einer von instrumenteller Zweckrationalität durchdrungenen Gesellschaft erneut zum Leben erwecken. 

Im Hier und Heute sei Geld das alles bedeutende, der einzige Wert, der geblieben zu sein schiene und der alles andere in die Flucht geschlagen habe. Alles verliere seinen Eigenwert vor dem Geld. Dazu verschwinde die sinnliche Wirklichkeit in den digitalen Bildern und die Welt werde zu einer alles umfassenden und erfassenden PowerPoint-Präsentation. 

Wir müssen uns selbst beschränken, wenn wir psychisch und moralisch überleben wollen, konstatiert Reimer Gronemeyer. Selbstbeschränkung entstehe, wenn wir die Erde unter unseren Füßen spürten und nicht, wenn uns dieser Boden nur mehr zur Ressource gereicht, wir ihn samt unserem Planeten als Managementprodukt begriffen. 

Die meisten neuen Tugenden, sprich die, mit denen wir uns durch unsere Zeit bewegen können, sind weiblich, so der Autor und erzählt auf: Die Sanftmut, die Freundschaft, die Liebe, die Gelassenheit, die Güte, die Treue, die Selbstbegrenzung, die Einfachheit, die Empathie. 

Was kann man tun, damit die Ich- Besessenheit reflektiert und begrenzt wird?  Nach diesen soeben aufgezählten Tugenden leben.

Welche Tugend müsste am meisten kultiviert werden? 

#Selbstbegrenzung. Eindeutig. 

Sich darin zu üben, sollte Programm für alle werden, denn nur so sind wir als Gemeinschaft überlebensfähig. Wer glaubt, seinen Weg allein gehen zu können, wir nicht weit kommen.

Maximal empfehlenswert.

Helga König

Im Fachhandel erhältlich

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Rezension: Erziehung prägt Gesinnung- Herbert Renz-Polster-Kösel

Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz –Polster ist Autor dieses Buches. Er hat die deutsche Erziehungsdebatte während der letzten Jahre wie kaum ein anderer geprägt.

In seiner Einleitung fragt er "Wozu ein pädagogisch-politisches Buch?"  Im Zusammenhang mit dieser Frage macht er eingangs deutlich, dass es  nach seiner Ansicht nicht die "Weltwirtschaftskrise" war, die einen Hitler an die Macht brachte, sondern Menschen mit einer klar definierten Haltung- mit klar artikulierten autoritären Überzeugen. 

Herbert Renz Polster möchte wissen, woher diese Überzeugungen kommen. In der Kindheit machen wir alle die Erfahrung, ob es im menschlichen Miteinander um Macht und Überlegenheit geht oder um Vertrauen und Zusammenarbeit. So der Kinderarzt. Es sei die Kindheit, in der wir unser soziales Vermögen ausbildeten, mit dem wir der Welt und ihren Krisen begegnen. Der Autor benennt in seinem Buch die emotionalen und sozialen Einflüsse, die unsere späteren politischen Überzeugen prägen.

Man lernt in diesem Buch diverse rechtspopulistische Szenen kennen, aber im Kern ist das Werk des Autors weder ein Buch über bestimmte Länder, noch über bestimmte Personen oder Politiker. Der Kern des Rechtspopulismus, der sich quer durch verschiedene Länder nachweisen lasse, sei der #Autoritarismus. Gemeint ist damit die Neigung von Menschen, sich in ein System von Befehl und Gehorsam einzugliedern und zugleich diejenigen abzuwerten, die nicht zu dieser Ordnung gehören, beispielsweise andere Ethnien. 

Renz-Polster zeigt auf, dass in den USA beispielsweise strenge Kindheiten mit "strengen" politischen Überzeugungen einhergehen. Zu den wichtigsten Eigenschaften, die jemand dort haben kann, zähle disziplinierter Gehorsam der Autorität gegenüber. 

Bei welcher Weltanschauung ein Mensch hängen bliebe, habe mit seiner formalen Bildung und seiner Intelligenz nichts zu tun. Der Autor betrachtet die Facetten der autoritären Persönlichkeit und stellt vor allem eine geringe Offenheit fest, sich auf Neues einzulassen. Auch zeigten diese Menschen ein deutlich höheres Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Struktur und die Ängstlichkeit sei ausgeprägter. Kurzum, bei rechtspopulistischen Haltungen sei das Stresssystem stärker aktiviert, gewissermaßen in einem ständigen, unterschwelligen Alarm- und Bedrohungssystem. Dann liest  man auch, dass rechtsgeneigte Menschen in ihrer Wahrnehmung generell stärker auf negative als auf positive Reize ansprechen, oft auch eine übertriebene Reinlichkeitserziehung in der Kindheit erfahren haben. Wer sich mit autoritären Erziehungsmustern irgendwann befasst hat, weiß dies alles bereits und weiß auch, dass in der Nazi-Zeit und danach die Autorin Hanna Haarer viel  Unheil mit ihrer unsäglichen Erziehungsfibel angerichtet hat. 

Interessant ist die Annahme, dass aus der Kombination geringer Offenheit und stärkerer Ängstlichkeit Vorurteile resultieren und das speziell im Hinblick auf Fremde. Andersgesinnte oder Erscheinende werden gemieden. Letztlich aus Angst.

Herbert Renz-Polster schreibt über Weltbilder und Menschenbilder und macht erkennbar, dass Rechtspopulisten in den Beziehungen zu Menschen auf Konkurrenz, Kontrolle sowie Macht setzen und generell von einer feindlichen Welt ausgehen. Kindern wird mit Misstrauen begegnet und entsprechend werden sie behandelt. Dieses mangelnde Vertrauen wirkt charakterprägend. Je weniger Vertrauen unter den Erwachsenen- dies das Muster- desto stärker werden Kinder zur Bindungslosigkeit erzogen.

Man erfährt u.a. wie die Furcht vor der Freiheit entsteht und damit auch die lebenslange Anhängigkeit von Autorität. Andererseits erfährt man aber auch wie sich emotionale Sicherheit entwickelt, liest wie Beziehungssprachen  zustande kommen und auch, was geschieht, wenn Kinder ihrer eigenen Stimme nicht trauen und stattdessen auf Kontrolle und Unterwerfung setzen. 

Man erfährt des Weiteren, dass ein bestimmter Erziehungsstil das Lachen ersticken lässt und worin fatalerweise ein unterworfenes Kind einen Rettungsanker sieht. Aufgeklärt wird man über die Autoritäre im Wandel, auch über mögliche Unterschiede in der Erziehung in West- sowie Ostdeutschland und über Kindheitsmuster international. Was Toleranz heißt und wie man mit Rechtspopulisten umgeht, kommt ebenso zur Sprache wie auch,  worum es letztlich geht, wenn man das Problem des Rechtspopulismus lösen will. 

Auf den Punkt gebracht, bedeutet das: "Kindheit wagen! Denn Kinder, die ihre Kindheit innerlich unverletzt, mit Selbstvertrauen, wachen Augen, Einfühlungsvermögen und Mut im Herzen verlassen, sind widerstandsfähig- gerade gegen die Verlockungen des Rechtspopulismus. Allen Kindern ist eine solche Kindheit zu wünschen." (S.263)

 Das sehe ich auch so.

 Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Erziehung prägt Gesinnung: Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können