
Der zweite große Gedanke reflektiert die mystische Lehre von der Einheit Gottes und der Menschenseele. Die Seele ist nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und insofern nach Meister Eckhart ebenfalls dreieinig. Sie begründet sich durch die drei Seelenkräfte des Erkennens, Zürnens und Wollens. Diesen Seelenkräften sind die drei christlichen Haupttugenden Glaube, Liebe und Hoffnung zugeordnet. So wie über dem dreieinigen Gott die ursprüngliche Gottheit steht, thront über den drei Seelenkräften der göttliche Funke. In besagtem Funken wohnt nur Gott mit seiner göttlichen Natur.
Der dritte Grundgedanke von Eckharts Mystik liegt in der Selbstäußerung und dem Aufgehen in Gott begründet. Man kann nur dann mit Gott eins werden, wenn man sich von der Sünde lossagt, weil diese uns generell von Gott trennt. Ziel ist es Gelassenheit, innere Gelöstheit und Abscheiden von allen irdischen Dingen und schließlich vom eigenen Selbst zu erlangen, seinen eigenen Willen aufzugeben und im Willen Gottes aufzugehen. Wenn die Seele diesen Zustand erreicht, dann wird sie Gott gleich.
Die Seele erkennt, dass alles außer Gott nicht bloß wertlos ist, sondern gewissermaßen nichts ist, dass alles nur existieren vermag, wenn es in Gott ist. In diesem Zustand erhebt sich die Seele über Raum und Zeit. Sie erkennt, dass das allem zugrundeliegende Wesen auf keinen Fall zeitliche Vergänglichkeit ist, sondern ewige zeitlose Gegenwart. Jetzt! Aber sie erkennt auch die allem zugrunde liegende ewige Notwendigkeit, selbst im Erlösungsprozess, durch welche die Seele in Gott eingeht.
Die Texte Meister Eckharts sind von großer geistiger und religiöser Tiefe und sprachlich auf höchstem Niveau. Auf jeden Fall lesenswert.
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