Prof. Dr. med. Joachim Bauer, der Autor dieses Buches, erhielt für seine Forschungsarbeiten den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Der Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt hat zahlreiche erfolgreiche Bücher geschrieben und geht in seinem neuen Werk den Fragen nach, wie unser Selbst entsteht, das sich später von anderen abgrenzen kann und auch, was einen Menschen zu einem Individuum macht.
Im Rahmen von insgesamt 15 Kapiteln erfährt man konkret mehr über die Entstehung des menschlichen Selbst durch #Resonanz. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass das, was ein Säugling in den ersten Lebensmonaten von Seiten des Du erlebt, zu einem Teil seines Selbst wird.
Was die signifikanten Bezugspersonen tun, denken und beabsichtigen, könne zu einem förderlichen oder fatalen Teil der kindlichen Persönlichkeit werden. Der Autor betont, dass es kein von sich alleine entwickelndes Selbst gibt, das aus dem Urgrund des eigenen Inneren aufsteigt.
Aus neurowissenschaftlicher Sicht sei der Mensch dafür gemacht, am Du zum Ich zu werden. Fatal sei deshalb für Kleinkinder, das Du abzuschaffen. Genau in diese Richtung gehe aber die Entwicklung, "nicht zuletzt wegen der teilweise sehr frühen Abgabe von Kindern an Betreuungseinrichungen und wegen des Einzugs digitaler Endgeräte ins Kinderzimmer", so Prof. Dr. Bauer. Wenn für das einfühlsame Kind das individuell reagierende, Halt gebende Du wegfiele, dann drohten emotionale Labilität, Aufmerksamkeitsstörungen, Depressionen, Suchtkrankheiten und die Zunahme autistischer Störungen.
Aufgabe der Erziehenden sei es, Kinder und Jugendliche auf dem Weg zum Autonomieerwerb zu begleiten. Dabei seien Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen unvermeidlich. Der Autor erklärt, weshalb nur die Menschen frei und autonom werden können, die zuvor das Geschenk der Bindung erlebt haben und macht auch klar, dass neuronale Netzwerke, in denen unsere Vorstellungen über das eigene Selbst gespeichert sind, teilweise deckungsgleich sind mit dem Bild, das wir uns von anderen Menschen machen.
Die Identitäten zwischen dem Selbst und dem Du in erster Linie dann sehr ausgeprägt, wenn uns die andere Person besonders nahe stehe oder wir uns ihr ähnlich fühlen würden. Unter die Oberfläche der mühsam erarbeiteten Individualität gäbe es eine tiefere Schicht von geteilter Identität. Damit stecke in unserem Selbst immer auch ein Stück "Du" oder "Wir". Der Selbst-Zustand einer anderen Person könne auf unser biologisches System durchschlagen. Das gibt sehr zu denken.
Über das Selbst und die Sexualität liest man in der Folge Wissenswertes, bevor man sich abermals bewusst machen kann, dass unser Selbst nur dann zu einem kreativen Akteur wird, wenn das entsprechende Ausgangsmaterial vorhanden ist. Mangelt es an Hilfe durch die Bezugspersonen, entsteht innere Leere.
Das Selbst wird dann eine Quelle von Angst und Qual. Um die Leere zu füllen, werden sich Dinge einverleibt. Der Ursprung der Gier und des Suchtverhaltens sei innere Leere.
Der Autor schreibt von Pädagogik als Öffnung von Möglichkeitsräumen und von der Arbeit, die dem menschlichen Selbst in ganz besonderer Weise verbunden sei, denn sie bietet ihm die Chance des Selbst-Wachstums und der Selbst-Erweiterung. Die Anerkennung auf geleistete Arbeit übertrage sich auf ihren Schöpfer und löse biologische Prozesse aus. Das führt dazu, dass das Gehirn soziale Wertschätzung mit einer Aktivierung der Motivations- und Belohnungssysteme beantwortet und soziale Erfahrungen in biologische Antwortreaktionen verwandelt.
Diese Systeme produzieren Botenstoffe, ohne die es zu einem alsbaldigen psychischen und physischen Zusammenbruch der Arbeitskraft kommen würde. Dies geschieht beim Burn-out.
Burn-out-Erkrankte können dazu noch depressiv werden. Dabei kommt es zum Verlust des Selbstwertgefühls, zu Antriebsverlust, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Schlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen und Lebensüberdruss.
Um gesund zu werden, muss das leidvolle Selbstproblem gelöst werden. Das ist nur möglich, wenn man seinen Gaben eine Chance gibt, d.h. etwas tut, was unseren Anlagen entspricht.
Was Resonanzroutine in Partnerschaften bewirkt und wie man das Du neu entdecken kann, aber auch was es mit einem leidvollen Selbst auf sich hat, kommt ebenfalls zur Sprache.
Hier schreibt der Autor sehr viel Wissenswertes im Hinblick auf Narzissten, deren Selbst aufgrund von Demütigungen in der Kindheit mit "Selbstbeweihräucherungszirkus" antwortet. Da keiner freiwillig diesen Zirkus mitmache, reagiere der #Narzisst damit, Bewunderung erzwingen zu wollen, andere zu demütigen, zu unterwerfen, sie in Angst zu versetzen und von sich abhängig zu machen.
Auch von dem Gegenstück des Narzissten schreibt der Autor. Es handelt sich um die Menschen, die sich gerne abhängig machen. Auch hier liegt ein nicht ausbalanciertes Selbst vor.
Das Selbst kann erschüttert und aufgelöst werden durch Traumatisierung, Gaslighting und Demenz schreibt Prof. Dr. Bauer und führt dies in einem sehr der Kapitel sehr verständlich näher aus, um schließlich auch über marginalisierte Migranten und ihre psychischen Probleme zu schreiben und schlussendlich dann über Selbst-Fürsorge zu informieren.
Gemeint ist die vom Selbst ausgeübte Fürsorge und die Fürsorge für das Selbst.
Das Selbst sei das Kostbarste, was ein Mensch besitzt, so der Autor. Es sei verbunden mit den in unserem Kulturraum lebenden Menschen. Es sei immer auch ein Wir.
Gewalt beschädige oder zerstöre unser Selbst. Was allen bewusst werden sollte: Unser Selbst- und das unserer Mitmenschen- benötigen vor allem die Liebe, um zu gesunden und kreativ zu sein.
Maximal empfehlenswert
Helga König