#Tina_Soliman, die Autorin dieses Buches, ist Journalistin, Autorin und Regisseurin. Tätig ist sie als regelmäßige Autorin für die ZDF-Senderreihe "37 Grad", "Die Story im Ersten" (ARD) und für das Politikmagazin "Panorama" (ARD). Ihre preisgekrönten TV-Dokumentationen für ARD und ZDF werden seit den 90er Jahren weltweit ausgestrahlt. Ihre beiden erfolgreichen Bücher zum Thema "Kontaktabbruch" mit dem Titel "Funkstille" und "Der Sturm vor der Stille" habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert und jeweils ein Interview mit der Autorin dort auch realisieren können.
Ihr neues Werk trägt den Titel "#Ghosting". Bereits in der Einleitung erklärt Tina Soliman ausführlich, was man unter diesem Begriff zu verstehen hat. Vielleicht an dieser Stelle so viel nur: Während bei der "Funkstille" der Ausbrecher, hier zumeist aus einer Situation, die für ihn unlösbar, vielleicht sogar ausweglos ist, flieht, weil er empfindet, nur so überleben zu können, verhält es sich bei "Ghosting" weniger emotional. Hier geht es um eine neue Form der Umgangskultur, die Entwicklung und Reifung verhindert. Auch geht es darum, Beziehungen nach dem Bestellprinzip zu realisieren und sie wortlos abzubrechen, wenn sie nicht das halten, was man erwartet hat. Hier wird vermittelt, die Beziehung- der Andere oder gar man selbst- habe nie existiert.
Wie die Autorin schreibt, haben Digitalisierung, die Partnervermittlungs- und Dating-Plattformen "Ghosting" als Tool zur Option gemacht, so wie sie aus den Nutzern selbst Optionen gemacht haben. Obschon 80 % aller Singles zwischen 18 und 33 Jahren mit "Ghosting" bereits Erfahrung gesammelt haben, ist für etwa 95% der Bevölkerung "Ghosting" als Methode eine langfristige Beziehung zu beenden, unakzeptabel.
Tina Soliman hat sich auf ihr Thema sehr gut vorbereitet und wartet nicht nur mit einer Vielzahl von Fallbeispielen auf, sondern zudem mit einer beeindruckenden Menge an Sekundärliteratur, mit der sie ihre persönlichen Recherchen im Text gekonnt abfedert.
Im Rahmen von 7 Kapiteln beleuchtet die Autorin dieses fatale Verhaltensmuster, das in seiner Kompromisslosigkeit erschreckt. Das Problem beim "Ghosting" sei, dass es sich um eine einseitige Bewusstwerdung des Endes handele und nicht um einen gemeinsam durchstandenen Prozess.
Man wird im Buch u.a. mit Geschichten von Verlassenen konfrontiert. Dabei wird klar, dass sich die Gedanken des oder der Verlassenen täglich um den Geist, der sie verlassen hat, drehen, sich tief in die Seele oder den Körper eingraben und krank machen können. Verlassene, so der Psychologe Oskar Holzberg, auf den Tina Soliman sich u.a. bezieht, hebt hervor, dass ein "Ghost" schlichtweg unreif ist und sich dem Konflikt nicht stellt. Wortloses Verlassen wird schon nach kurzer Beziehungsdauer als Vernichtung, Verunsicherung und massiven Angriff auf das Selbstwertgefühl begriffen. Im Dating- Zeitalter werden laut dem Parship-Berater Hegmann solche Verletzungen zunehmen, weil verlassen so einfach geworden sei.
Tina Soliman geht in der Folge u.a. der Frage nach, weshalb jemand spurlos verschwindet. In diesem Kapitel formuliert sie "Ghosting" in erster Linie als Vermeidungstaktik und führt aus: "Vermieden wird die lästige Konfrontation, eine ehrliche Betrachtung eigener Unzulänglichkeiten, und ja, zumindest die teilweise Preisgabe seines Selbst- und nicht zuletzt ist Ghosting eine effektive Strategie, um Aufwand zu vermeiden, der sich vermutlich nicht lohnt."
Nicht unerwähnt lässt die Autorin, dass die digitalen Kommunikationsmittel es möglich machen, auf Knopfdruck zu verschwinden und sich rasch, ohne großen Aufwand neu zu orientieren. Sich festzulegen, bedeute in dieser Denklogik: Optionen zu verpassen, in erster Linie bessere. Insofern bleibe jeder im Stand-by-Modus, weil der Traumpartner jede Minute aufpoppen könne.
Das Suchen und Finden der Liebe im digitalen Zeitalter, auch das Gefundenwerden wird im 2. Kapitel zur Sprache gebracht. Thematisiert wird die Suche nach dem Gleichen, auch nach dem Einen sowie nach dem Besten und was dies im Einzelnen zu bedeuten hat. So liest man nicht grundlos in diesem Kapitel die berechtigt kritische Anmerkung: "Was beim Online-Dating passiert, treibt die Vermarktung des Menschen auf die Spitze. Beziehungen werden unter den Kriterien von Ertrag und Rentabilität betrachtet. Sie müssen perfekt sein, weniger ist nicht akzeptabel."
Die Algorithmen bringen uns Menschen entgegen, die uns scheinbar nicht fremd sind. Deshalb wird auf diese Weise auch rascher Nähe hergestellt, die, wenn man auf einen Ghost trifft, eben fatal enden kann.
Nicht selten treffen Nähe-ängstliche und Nähe-vermeidende Typen aufeinander. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass es beim "Ghosting" immer um Nähe, um das Fehlen derselben und eine Vorstellung davon geht, was Nähe sein könnte. Stellt sich die Frage, woher die neue Bindungsangst kommt? Hier ist der Abschnitt "Generation Mute- die stumme Generation" aufschlussreich.
Dass beim Ghosting Ausgeliefertsein und Trennung zusammenkommen, soll nicht unerwähnt bleiben Immer wieder nennt Tina Soliman Narzissten als typische Ghosts, die den anderen bestimmen, kontrollieren und manipulieren wollen.
Den Narzissten mangelt es an Empathie. Sie haben Bindungsangst. "Ihnen ist Kontrolle und Selbstbestimmung wichtiger als Bindung, weil ihr verletzter Selbstwert nicht ertragen kann, seine Autonomie zu verlieren." Die Zunahme des narzisstischen Kontaktabbruchs betont die im Buch erwähnte Psychologin Lisa Fischbach.
Was Schweigen bedeutet und was hinterlassen wird, wenn der Abschied verschwindet, wird auch reflektiert. Auf den Punkt gebracht, bedeutet es "Ghosting zerstört und bringt Schmerz- oft für beide Seiten". Grund genug, über "Ghosting" aufzuklären, um es überwinden zu können.
"Ghosting" habe nicht nur Folgen für den Einzelnen, sondern auch für das soziale Miteinander, für die Gesellschaft. Von daher forderten Psychologen auch Kindern und Schülern bereits Konfliktfähigkeit, Fairness und Empathie zu vermitteln, und wenn nicht von Eltern gelebt, dann eben als Schulfach. Durch Mitgefühl entstehe sozialer Zusammenhalt und genau der wird durch "Ghosting" ausgehebelt.
Wer Beziehungen abbricht, sollte dies erwachsen tun. Hierfür hat der Psychiater #Markus_Horvath
fünf Regeln aufgestellt, die Tina Soliman ihren Lesern an die Hand gibt. Zurecht kritisiert die Autorin die Dating- und Partnerschaftsvermittlungs-Plattformen, die ungute Entwicklungen im Zwischenmenschlichen verstärken, weil sie Entwicklungsschritte aussparen, Nähe vortäuschen, Manipulationtechniken erleichtern, das Lückenhafte und Bindungslose verstärken.
Im Nachwort fasst die Autorin zusammen, was sie von den "Ghosts" und "Ghosting" hält. Ich teile ihre Meinung in allen Punkten aus langjähriger Erfahrung im Internet.
Maximal empfehlenswert, nicht zuletzt, weil die jüngste Publikation von Tina Soliman für einen kultivierten, wertschätzenden Umgang untereinander wirbt.
Helga König
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Ghosting: Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen ZeitalterWebsite: Tina Soliman