Der niederländische Theologe und Humanist Erasmus von Rotterdam (1466-1536) lebte als freier Gelehrter in den Niederlanden, in England und ab 1521 meistens in Basel. Als Textkritiker, Herausgeber und Grammatiker war er Mitbegründer der neuzeitlichen Philosophie. Seine geistvollen Schriften- unter ihnen die "Vertraulichen Gespräche" (Colloquia familiaria, 1518) und seine fein stilisierten Briefe sorgten für seine Berühmtheit in Europa. Wie man der "Biographischen Skizze" im Buch entnehmen kann, hat der Gelehrte geistig-gedanklich zur Reformation beigetragen und nahm eine vermittelnde Stellung im Hinblick auf reformatorische Bestrebungen ein.
Die Reformation Luthers hat Erasmus von Rotterdam abgelehnt. Sein Streit mit Luther, nachlesbar in "Über die Freiheit des Willens" von 1524, führte zur Trennung von Reformation und Humanismus. Der Gelehrte suchte ein freies, vernunftmäßiges, den sittlichen Gehalt des Neuen Testamentes betonendes Christentum, (vgl.: Seite 16-21).
Für Erasmus ist die Vorbedingung allgemeiner Versöhnung die Ausschaltung von Gewalt, speziell die Abschaffung des Krieges, der "nur dem, der ihn nicht erfahren hat, schön erscheint", wie er in "Dulce bellum inexperto" im Jahre 1517 schreibt, (vgl.: S.8). In seinem Werk, so erfährt man weiter, kommt der Gelehrte auf den Traum vom Frieden immer wieder zu sprechen. Kurt Steinmann, der Herausgeber und Übersetzer des vorliegenden Buches, erinnert in seinem Vorwort daran, dass es zwei Friedendefinitonen gibt: einen "negativen Frieden", den "Nichts-Kriegs-Zustand", welcher unmenschliche Verhältnisse nicht ausschließt und einen positiven Frieden, in dem soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit realisiert werden. Für Erasmus bleibt, so erfährt man weiter, Frieden eine Einheit. Das bedeutet: er schließt Krieg aus und Brüderlichkeit ein. Für ihn ist Krieg eine Perversion und ein Verrat am Evangelium, (vgl.: S.9). Ich stimme mit Erasmus in dem Gedanken überein, dass nur eine moralische Erneuerung die Welt vor der Selbstzerstörung retten kann.
Kurt Steinemann erklärt in seinem Vorwort, dass die "Vertraulichen Gespräche" Unterhaltungsschriften hohen Ranges voll lebendigster Anschaulichkeit, praktischer Lebensweisheit, souveräner Satire und verschmitztem Schalk seien. Die Colloquia kreisen fast immer um Fragen der Moral, (vgl.: S.26/27).
Zwanzig der rund siebzig Gespräche sind im Buch abgedruckt. Diese finden zumeist zwischen zwei Personen statt. Bei ihnen handelt es sich um Schüler, Mönche, Soldaten, Kaufleute, Bettler, Wallfahrer, kurzum um Figuren des zeitgenössischen Lebens. Fragen der Bildung, der Moral und der Religion sind Gegenstand der Erörterungen. Wie Steinmann nicht grundlos konstatiert, lässt der Gelehrte die Protagonisten überzeugend sprechen, weil er sich in jede Rolle zu versetzen weiß. Dass in jedem der Dialoge ein Entwurf zu einer Komödie, einer Novelle oder Satire steckt, möchte ich bestätigen.
Folgene "Vertrauliche Gespräche" sind im Buch enthalten: Die Soldatenbeichte -Mahnworte - Die Gattin, die über die Ehe lästert oder die Ehe - Die Kunst zu lügen -Schiffbruch - Gasthäuser - Der Jüngling und die Hure - Altmännergespräch oder Das Fuhrwerk - Der Abt und die gebildete Frau - Alchemie - Bettlergespräch - Das Wallfahren - Charon - Die ungleiche Ehe - Der Frauensenat - Die Morgenstunde - Die Gedächniskunst - Der Ruhmbegierige - Schmutziger Reichtum.
In einem umfangreichen Anhang erfährt man erhellende Hintergründe zu den kurzweiligen und dabei geistvollen Texten.
Empfehlenswert.