Dr. Catarina Katzer, die Autorin dieses bemerkenswerten Buches, ist Volkswirtschaftlerin und Sozialpsychologin. Auf dem Gebiet der Cyberpsychologie und Medienethik zählt sie zu den führenden Forschern und ist zudem als Expertin für Kommissionen des Europarates, des Deutschen Bundestages als auch für Regierungsinstitutionen im In- und Ausland tätig.
Wie die Autorin schon in der Einleitung festhält, ist das Internet zu einem neuen Koordinatensystem für unser Handeln geworden. Weil es sich wie selbstverständlich neben unser reales Leben schiebt, sind, so Katzer, Wahrnehmungsdiffusionen nicht ausgeschlossen. Insbesondere der Aspekt der Anonymität und der psychischen Abwesenheit wirke sich auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten entscheidend aus. Es entstehe ein neues Verhältnis zum eigenen Handeln.
Damit wir nicht in Netzfallen geraten, sei es notwendig, sich bewusst zu machen, wie der pausenlose Perspektivwechsel zwischen realem Alltag und virtuellem Lebensraum sich auf Identität, Emotionen und Verhalten auswirke. Eine ganze Reihe von Faktoren werden genannt, die zu digitalen Wahrnehmungsfehlern führen. Das gilt vor allem für Raumwahrnehmung und Zeitempfinden. Katzer verdeutlicht, wie unser Gehirn online auf eine falsche Fährte gelenkt wird, die uns schaden und krank machen kann. Zugleich aber zeigt sie Wege auf, die uns zu kompetenten "Cybernauten" werden lassen.
Das Buch ist in nachstehende Kapitel untergliedert:
Das Internet als neues Koordinatensystem für unser Handeln
Netzeffekte- Was online mit unseren Gefühlen, unserem Denken und unserem Verhalten passiert
Das Internet als virtuelle Bühne
Wege aus der Netzfalle-Wie wir zu kompetenten Cybernauten werden.
Katzer informiert zunächst im Hinblick auf Multitasking und erläutert wie es zu digitalen Wahrnehmungsfehlern kommt und wie sie sich vermeiden lassen. Hier geht es nicht zuletzt darum, ein Bewusstsein für die Verzerrungen zu entwickeln, die entstehen, wenn wir verschiedene Dinge gleichzeitig tun, z.B. unterschiedliche Websiten betrachten und dabei andere Handlungen ausführen etc.
Zur Sprache gebracht wird auch, weshalb die Intimsphäre und die Öffentlichkeit digital schwer zu trennen sind. Aufgrund der Internettechnologie haben wir es mit einer Vervielfältigung unserer Aktionsräume zu tun, zugleich aber mit einer schleichenden Auflösung der eigentlichen Trennung der Handlungsumfelder. Das geschieht, indem unser realer sozialer Handlungsraum mit den Orten, die wir online betreten verschmilzt. Das Raumempfinden wird auch davon beeinflusst, womit wir uns online befassen und in welchem interaktiven virtuellen Umfeld wir uns aufhalten.
Die Vervielfältigung, Verschiedenartigkeit aber auch der Interaktivitätsgrad beeinflussen die Beurteilung der Räume entscheidend. Ist man nicht physisch anwesend, beurteilt man einen Raum anders. Hemmungen und Schamgefühl schwinden. Die Öffentlichkeit wird in den sozialen Netzwerken oft nur bedingt realisiert, wenn man dort mit einzelnen Personen kommuniziert. Ausführlich schreibt die Autorin zum Thema Privatheit und hier zur besonderen Beschaffenheit der Online-Kommunikation, die eine Illusion von Privatheit entstehen lässt.
Das Internet setzt offenbar unsere traditionelle Zeitwahrnehmung außer Kraft. Wer glaubt, aufgrund der technischen Gegebenheiten immer erreichbar sein zu müssen, dessen Zeit schrumpft gewissermaßen. Es ist wichtig, sich hier Grenzen aufzuerlegen, um sich vor Überforderung oder gar Sucht zu schützen.
Über das Abspalten von Geist und Körper aufgrund der unterschiedlichen Aktionsräume liest man Wissenswertes und in der Folge dann, was online mit unseren Gefühlen, unserem Denken und Verhalten geschieht. Sehr wichtig hier sind die Informationen zu den dunklen Seiten des digitalen Sozialverhaltens.
Zu den Netz-Paradoxen gehört, dass Opfer in Täterrollen gedrängt werden. Man liest Aufschlussreiches über das Phänomen "Shit-Storm" und auch, dass immer mehr Menschen anonyme Meinungsäußerungen nicht mehr dulden wollen. So nimmt beispielsweise die Diskussionssendung "Hart aber fair" keine anonymen Beiträge mehr auf.
Phänomene wie Cybermobbing und Cyberstalking werden thematisiert. Dort spielt häufig eine persönliche Bindung zumindest aus der Sicht des Täters eine essentielle Rolle. Opfer von Cyberstalking sind zumeist Frauen.
Aufgeklärt wird man über virtuellen Voyeurismus und hier unterstreicht die Autorin, dass unser Online-Gewissen gestärkt werden müsse. Des Weiteren erfährt man wie unser Gehirn offline und online funktioniert und welchen Einfluss unser Online-Leben auf unser Gedächtnis und unsere Erinnerungen hat.
Es sind aber zudem noch eine Fülle anderer Punkte, die die Autorin in diesem Buch zur Sprache bringt, so etwa die Inflation visueller Nachrichten und hier auch die Frage, was virtuelle Gewalt mit uns Nutzern des Internets macht. Was geschieht mit den Betrachtern brutaler Kriegsszenen? Wie schauen die tatsächlichen Auswirkungen auf uns aus? Darüber schreibt Katzer ausführlich.
Über Cyberspace als idealer Ort der Selbstdarstellung, Selbstinszenierung und des Selbstmarketing bleibt man ebenfalls nicht unaufgeklärt und kann sich nicht zuletzt auch mit virtuellen Gruppenphänomenen befassen, um schließlich in Erfahrung zu bringen, wie man zum kompetenten Cybernauten wird.
Mit der Autorin teile ich die Ansicht, dass wir eine neue Medienethik benötigen. Diese muss man, wie Katzer festhält, als Steuerungselement begreifen, die nicht nur bei Usern ansetzt, sondern darüber hinaus bei Medienunternehmen und Providern, um so eine kritische Medienöffentlichkeit herzustellen. Das wird nicht einfach sein, weil, wie die Autorin nicht grundlos erwähnt, ein enormer Wertepluralismus durch den freien Zugang zum Internet herrscht.
Letztlich liegt es an uns allen, wie die Internetwelt in Zukunft ausschauen soll. Es ist eine Frage der Eigenverantwortlichkeit. Um diesbezüglich sich bewusster zu werden, worauf zu achten ist, wenn man sich im Internet aufhält, ist es sehr empfehlenswert "Cyberpsychologie" zu lesen. Ein wirklich gutes, informatives Buch.
Helga König
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