Die Autorin dieses hervorragenden Buches ist die in Lübeck praktizierende Diplom-Psychologin #Bettina_Alberti. Ihr besonderes Interesse gilt der Bedeutung von Kontakt und Bindung für die psychische Entwicklung des Menschen unter Berücksichtigung traumatischer Erfahrungen.
Bereits in der Einleitung erläutert die Psychologin, weshalb sie ein Buch über die in den 1950er und 1960er Jahre Geborenen aus Sicht der Psychotherapie geschrieben hat. Für die Menschen, die in dieser Zeit hierzulande zur Welt kamen, gehe es um Trauer um die eigene Familiengeschichte, eine Trauer, die die vorherigen Generationen sich aufgrund ihrer psychischen Lebensbedingungen oft haben nicht erlauben können.
Alberti wartet in ihrem Werk mit vielen Geschichten auf, die auf Gesprächen mit Betroffenen basieren. Hier werden die Gründe für die Trauer dann hinreichend belegt.
Aufgabe der 1950er und 1960er Jahre Geborenen sei es, einen seelischen Raum ohne Bewertung zu öffnen, damit das über Generationen wirkende innere Leid tatsächlich anerkannt und der bewussten Verarbeitung zugänglich gemacht werden könne.
Das Buch ist in 7 Kapitel untergliedert.
Im Vorfeld wird bereits thematisiert, dass die Folgen elterlicher Kriegsbelastung sich für die erwachsenen Kinder nicht selten hinter einem gut funktionierenden Pseudoselbst verbergen. Die Kriegstraumatisierung und die Prägung durch die NS-Paradigmen hätten viele Eltern, die in der NS-Zeit Kinder waren, dazu gebracht, der Seele ihrer Kinder nicht begegnen zu können. Dies habe #Selbstverleugnung, #Lebensangst und #Einsamkeit zur Folge.
Der #Bindungssehnsucht Raum zu geben und das eigene Selbst zu besetzen, ohne in Narzissmus abzutriften, sei für die Generation der in den 1950er und 1960er Jahren Geborenen vor den Hintergrund ihrer Kriegsbelastenden Familienbiografie eine kollektive Aufgabe. Neben dem 2. Weltkrieg wirkten zudem die Teilung Deutschlands und der Kalte Krieg auf diese Generation. Die Aufgabe ist nach Ansicht Albertis also Heilung, um sich von Vergangenem zu befreien.
Was wissen wir über unsere Eltern? Wissen wir, was sie während der Kriegsjahre tatsächlich erlebten? Solche Fragen, aber auch "Haben die Kriegserfahrungen meiner Eltern Auswirkungen auf mich gehabt, auf unsere Beziehung, auf meine seelische Entwicklung?" stimmen nachdenklich. Spannend zu lesen ist, was in den Geschichten der einzelnen Betroffenen zum Vorschein kommt. Vieles kam mir sehr bekannt vor, aufgrund meiner eigenen Vita und den Erfahrungen mit meiner schwerst-traumatisierten Mutter.
Man erfährt in der Folge dann mehr über psychische Traumata und deren Auswirkungen auf die Seele. Diese Traumatisierungen führen zu Verletzungen und langfristigen Veränderungen im seelischen Erleben. Betroffene Menschen komme die innere Ruhe und der Frieden abhanden. Die Frustrationstoleranz für Stress sinke. Die Fähigkeit Leid zu ertragen und zu verarbeiten, scheine ausgeschöpft. Folge sei eine latent gereizte, aggressive oder aber auch eine latent traurige, depressive Stimmung. Die Betroffenen scheinen unerreichbar und unverbunden mit anderen. Schwierig war und ist es für die Folgegeneration mit Vätern oder Müttern der Kriegskindergeneration entspannt umzugehen. Im Alter neigten die Kriegskinder zu körperlichen Beschwerden ohne organische Ursachen. Die Folgegeneration, sprich die in den 1950er- und 1960er Jahren Geborenen zeigten dagegen psychische Symptome wie Ängste, Selbstwertprobleme und Depressionen als Ausdruck der Überbelastung und des Mangels.
Traumatische Erfahrungen wirkten über die Bindungsbeziehungen innerhalb der Familie in die nächste Generation. Auch das wird durch die Geschichten von Betroffenen deutlich. Belastende Bindungserfahrungen, verursachten seelische Störungen und beeinträchtigten die Entwicklung. Unsere Liebes- und Abgrenzungsfähigkeit, auch unsere Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hängen damit zusammen.
Die Autorin listet auf, welchen Traumatisierungen die Kriegskinder während des zweiten Weltkrieges ausgesetzt waren und auf welche Weise sie auf der Bindungsebene erschüttert wurden.
Alberti erwähnt mehrfach den nationalsozialistischen Erziehungsratgeber von Johanna Haarer mit dem Titel "Die deutsche Mutter und ihr Kind", der bis Kriegsende eine Gesamtauflage von 690 000 Exemplare erreichte und auch nach 1945 immer noch als Ratgeber in Sachen Erziehung galt. Gedruckt wurde das Monsterwerk bis 1986. Haarer empfahl größtmögliche Distanz zwischen Mutter und Kind und hat mit ihrem Buch viel Leid gestiftet.
Die Autorin nennt die Gründe für die emotionale Kluft zwischen den in den 1950 und 1960er Jahren Geborenen und deren Eltern. Dazu gehörten beispielsweise eine kollektive emotionale Unerreichbarkeit der Elterngeneration als Folge ihrer Kriegserfahrung, auch die verinnerlichten nationalistischen Erziehungsprinzipien, die eine physische und emotionale Distanz zwischen Eltern und Kindern installierten. Das Problem dieser Eltern: Wenn andere Menschen starke Emotionen zeigen, wie Kummer, Angst oder Freude, kann das zur psychischen Abwehr führen, weil sie dies als bedrohlich empfinden.
Kinder der 1950er und 1960er Jahre gehen aufgrund ihrer Erfahrungen mit traumatisierten Vorfahren mit sich sehr häufig unemphatisch um, legen Wert darauf, ständig zu funktionieren und neigen dazu sich abzuwerten, so die Autorin. Die Gründe hierfür werden erläutert und es wird auch die innere Einsamkeit angesprochen, die nicht wenige Betroffene spüren.
Dies und all das, was mit dem Kalten Krieg und der Teilung Deutschlands zusammenhängt. erfordert Frieden mit der familiären Vergangenheit und mit sich selbst zu schließen.Wie man die Verstrickungen löst, erläutert Bettina Alberti sehr gut nachvollziehbar. Deshalb auch empfehle ich das Buch allen, speziell den Betroffenen.
Maximal empfehlenswert.
Helga König
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