Prof. Dr. Robert Spaemann ist der Autor des vorliegenden Buches. Er lehrte von 1962 bis 1992 Philosophie an der TH Stuttgart und den Universitäten Heidelberg und München. Zudem hatte er zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und ist Träger des Karl-Jaspers-Preises 2001 der Stadt und der Universität Heidelberg. Die vorliegende Sonderausgabe wurde Robert Spaemann zu seinem 90. Geburtstag gewidmet, den er am 5. Mai gefeiert hat.
Das Buch umfasst zwei große Teile. Dies hängt damit zusammen, dass zwei große europäische Traditionen der Ethik miteinander im Widerstreit liegen und der Autor den Dualismus den Lesern begreifbar machen möchte. Es sind die Ansätze von Aristoteles und Kant, um die es hier geht.
Für Aristoteles war das Gelingen des Lebens (Glück) entscheidend, während Kant menschliches Handeln aus der Perspektive der Pflichten rechtfertigte.
Spaemann führt die beiden Perspektiven auf etwas Ursprüngliches zurück und versöhnt sie auf diese Weise. Es handelt sich bei dem Ursprünglichen um die "Wahrnehmung der Wirklichkeit".
Wissen muss man, dass Aristoteles aus der Schilderung ethischer Situationen Maximen und ethische Regeln ableitet. Dazu erfährt man im Buch Näheres. Beim Gelingen des Lebens zählen nicht nur die verwirklichten Ziele, sondern es ist auch wichtig, dass die Handlungen durch die Ziele realisiert wurden selbst Teile des Gelungenen oder Misslungenen sind. Außerhalb der Philosophie gibt es nur ein relatives Gelingen, wenn Menschen in ihrem Leben das Gute objektiv durch ihr jeweils besonderes Tun darstellen. Das scheint zu funktionieren, wenn man unter philosophischer Anleitung lebt, wohingegen in einer schlecht organisierten, unphilosophischen Gesellschaft das Leben nicht im Sinne von Aristoteles gelingen kann. Nur das Gelingen des philosophischen Lebens ist frei von den sozialen und politischen Rahmenbedingungen, da die wissende Teilhabe am Guten unabhängig davon ist. Die aristotelische Lehre vom gelingenden Leben habe den Charakter eines Kompromisses und zwar in vielfacher Hinsicht. Dies wird Kapitel "Der aristotelische Kompromiss" verdeutlicht.
Bei Kant stellt sich die Frage, was zwingend erforderlich ist, um dessen "Kategorischem Imperativ" zu genügen. Dabei muss man wissen, dass allem Wollen und sollen die "Wahrnehmung der Wirklichkeit" vorausgeht. Pflichten gegenüber Dritten setzen demnach voraus, dass man die Anderen als "wirklich" voraussetzt, dass man sich von Person zu Person begegnet.
Wer erwacht sei, für den stellt sich nicht die Frage, weshalb man anderen gegenüber wohlwollend sein soll und für den, der es nicht ist, bliebe die Frage unbeantwortbar.
Da die Normalverfassung des Menschen eine Art Halbwachheit sei, müsse die Philosophie dazu verhelfen, vollständig wach zu werden.
Robert Spaemann schreibt: "Einen Menschen vollkommen ernst nehmen heißt ihn vernichten. Denn vollkommen ernst genommen zu werden überfordert uns. Die Vernunft eröffnet uns eine Dimension, von der wir zugleich erkennen, dass sie nicht ausfüllbar ist. Niemand ist vollkommen erwacht. Natürlichkeit ist Unbewusstheit. Das «Sie wissen nicht, was sie tun» kommentiert alles menschliche Handeln, das nicht Ausdruck der Liebe ist, und ist zugleich das Argument für die Bitte: «Vergib ihnen».
Ein sehr komplexes Buch, dessen Inhalt man in einer nicht allzu umfangreichen Rezension verkürzt nicht wirklich zufriedenstellend ausbreiten kann.
Sehr empfehlenswert.
Helga König
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