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Rezension: Die Kraft der Kriegsenkel- Ingrid Meyer-Legrand-Europa Pocket



Die systemische Therapeutin Ingrid-Meyer Legrand befasst sich in diesem Buch mit den Kriegsenkeln, sprich den Menschen, deren Eltern oder zumindest ein Elternteil im 2. Weltkrieg noch Kinder waren und als solche traumatisiert wurden durch die Erlebnisse aus jenen Tagen. 

Die Lebenserzählung der Kriegsenkel, so die Autorin, kreise nicht selten um das von Eltern erfahrene Leid und ihr eigenes Bemühen, als Kinder für die Eltern da zu sein und zwar seit Beginn ihres Lebens. Früh bereits hätten die Kriegsenkel im Zusammenleben mit den kriegstraumatisierten Eltern Kompetenzen erworben,  mit an Leib und Seele verletzten Menschen umzugehen. 

Viele Kriegsenkel, so die Beobachtung Meyer-Legrans in ihrer Praxis, zeigten sich zutiefst verunsichert, zweifelten an sich selbst und meinten keine Existenzberechtigung zu haben. Sie fühlten sich bis heute entwurzelt, und nicht wenige rastlos und getrieben. Sie litten entweder unter völligem Stillstand oder arbeiteten bis zum Umfallen. Auch wenn viele erfolgreich im Beruf seien, klagten sie über Leere und darüber, dass sich dennoch keine Zufriedenheit einstelle. 

Auch gäbe es nicht wenige, die sich fragten, ob sie es überhaupt wert seien, Erfolg zu haben, vor allem, ob sie erfolgreicher als ihr Vater oder ihre Mutter sein dürften, denen Ausbildungsmöglichkeiten fehlten und die stattdessen mit schlimmen Erlebnissen während des Krieges und auf der Flucht konfrontiert waren.

Eine typische Kriegsenkel-Biografie ist in einem häufig unerkannten Ausmaß von schwierigem Aufwachsen der Eltern und deren leidvollen Erfahrungen während der NS- und Kriegszeit geprägt. 

Die Autorin beschreibt viele Fallbeispiele und macht auch bewusst, dass die Kriegskinder des Zweiten Weltkrieges die Nachkommen der Kriegskinder des Ersten Weltkrieges sind und  sie berichtet sehr gut darüber, was das bedeutet. Des Weiteren schreibt sie über das nationalsozialistische Erziehungsideal. Die Nazis wollten Menschen heranwachsen sehen, die gewalttätig, herrisch und grausam waren, bei denen schlussendlich alles Schwache und Zärtliche ausgemerzt war. Wie die Autorin schreibt, sollten nicht nur Gefühle der Schwäche eliminiert werden, sondern jegliches Gefühl. Für Staat und Partei seien Menschen gebraucht worden, die gehorchten und Befehle erfüllten. Das Mittel der Wahl waren Demütigungen und harte Arbeit. Die Erziehung in der NS-Zeit setzte auf totale Anpassung, Gehorsam und auf Selbstaufgabe. Es wundert also nicht, dass viele Kriegskinder sich bis heute nicht vorstellen können, eigene Gefühle zu haben. 

Für viele dieser traumatisierten Kriegs- und Flüchtlingskinder, die an Leib und Seele verletzt waren, gab es keine Hilfe, denn ihr Leid wurde nicht gesehen. Die Kriegs- und Fluchterfahrungen von Kindern, die in dieser Zeit extremer Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgesetzt waren, haben sie traumatisiert. Die Kriegsenkel wurden, so Meyer Legrand, in den Traumatabewältigungsprozess hineingezogen. Auf diese Weise sei es nicht selten zur sekundären Traumatisierung gekommen. So erlebten Kriegsenkel die Ängste und Unsicherheiten ihrer Eltern, ohne von diesen je gehört und ohne von den dazugehörenden Ereignissen gewusst zu haben.

Die Sprachlosigkeit zwischen den Kriegskindern und Kriegsenkeln ließ und lässt die Probleme nicht auflösen. So konnten und können die Enkel ihren Eltern  sich nicht wirklich begegnen, sondern sich letztlich nur zur Verfügung stellen. Beziehungen einzugehen, bedeute für sie, immerfort leisten zu müssen. Eigene Interessen und Bedürfnisse seien für sie nicht legitim. Oftmals würden sie diese gar nicht kennen. Sie erlebten sich innerlich von ihren Eltern besetzt.

Die Autorin erlebt in Gesprächen mit den Kriegsenkeln oft etwas Hölzernes und Ungeübtes in der Wahrnehmung und Handhabung der eigenen Interessen und in der Kommunikation mit anderen. Kriegsenkel besäßen oft mehrere Ausbildungen, mehr als ein Studium und unzählige Weiterbildungen. Auch dies erkläre sich aus ihrer Beziehung zu ihren Eltern und dem daraus sich ergebenden Leistungswillen. 

Meyer- Lengrand hat eine sehr hilfreiche biografische Arbeitsweise entwickelt-  das sogenannte Storyboard-, wonach Kriegsenkel den roten Faden im eigenen Leben erkennen können und  ihre eigenen Leistungen zu schätzen lernen, um auf diese Weise ihre einzigartigen Kompetenzen als Chance und Kraftquelle zu nutzen. Anhand von zahlreichen Beispielen wird sehr gut vermittelt, wie dies funktioniert. 

Maximal empfehlenswert

Helga König

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