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Rezensionen: 111 Tugenden, 111 Laster: Eine philosophische Revue (Gebundene Ausgabe)

Der Autor dieses Buches, Dr. Martin Seel, ist Professor für Philosophie an der Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. Er befasst sich in diesem Buch mit 111 menschlichen Eigenschaften, die, sieht man mal von der Grausamkeit ab, die Gestalt einer Tugend oder eines Lasters annehmen können. Der Autor unterstreicht, dass der Hauptteil des Buches wie eine Regietheater-Inszenierung der Nikomachischen Ethik gelesen werden könne. Viele Tugenden, so habe bereits Aristoteles gesagt, sind heikle Balancen, die nur mit Mühe gehalten werden können, (vgl.: S. 234).

Damit Sie eine Vorstellung von den fokussierten Eigenschaften haben, liste ich diese kurz auf: Leichtsinn, Freundlichkeit, Unverschämtheit, Schamgefühl, Takt, Unbefangenheit, Unparteilichkeit, Grausamkeit, Mitgefühl, Selbstmitleid, Humor, Albernheit, Ironie, Neugier, Aufgeschlossenheit, Gier, Lust, Mäßigung, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Willensschwäche, Besonnenheit, Klugheit, Dummheit, Weisheit, Melancholie, Trägheit, Faulheit, Lebhaftigkeit, Zorn, Lächerlichkeit, Ausgeglichenheit, Echtheit, Natürlichkeit, Stil, Naivität, Coolness, Keuschheit, Phantasie, Sensibilität, Schönheit, Anmut, Eitelkeit, Würde, Selbstachtung, Ehrgefühl, Ehrgeiz, Stolz, Arroganz, Genie, Originalität, Bewunderung, Neid, Schadenfreude, Ressentiment, Geiz, Großzügigkeit, Toleranz, Glaube, Hoffnung, Aberglaube, Skepsis, Bescheidenheit, Koketterie, Demut, Dankbarkeit, Verantwortung, Gewissen, Peinlichkeit, Frömmigkeit, Betrachtung, Liebe, Elternliebe, Selbstliebe, Narzissmus, Selbstgenügsamkeit, Leutseligkeit, Freundschaft, Nächstenliebe, Freiheit, Trotz, Fatalismus, Fanatismus, Glück, Mut, Zynismus, Hochstapelei, Angabe, Aufrichtigkeit, Selbsterkenntnis, Vertrauen, Selbstvertrauen, Treue, Gerechtigkeit, Selbstgerechtigkeit, Nachsicht, Geduld, Ausdauer, Opportunismus, Ernsthaftigkeit, Redlichkeit, Nüchternheit, Langeweile, Zerstreutheit, Aufmerksamkeit, Bildung, Beredsamkeit, Geschmack, Spielfreude, Rationalität und Gelassenheit.

Seels Reflektionen zu den einzelnen Eigenschaften im Buch zeigen, dass jedem menschlichen Vorzug eine Tendenz zur Abirrung vom Pfad der Tugend und beinahe jedem Laster ein Impuls zum Abbiegen auf ihn innewohnt. Es sei notwendig die Verwandtschaftsbeziehung zwischen Tugend und Laster zu begreifen, um den Konflikt zwischen ihnen wirklich zu verstehen, (vgl.: S.235). Das Kriterium, das Tugenden von Lastern unterscheidet, bringt Seel folgendermaßen auf den Punkt:"Tugenden respektieren und fördern, Laster hingegen verletzen und behindern die Selbstachtung, und Selbstbestimmung der Menschen", (Zitat: Seite 236).

Seel zeigt die Ambivalenz der Tugenden auf, so etwa bei der Neugier, bei der ein Übermaß, wie auch der Mangel die soziale wie auch die kognitive Kraft zunichtemachen, (vgl.: S.245). Bei einer großen Anzahl tugendrelevanter Eigenschaften ist nicht deutlich erkennbar, ob es sich eher um eine Tugend oder ein Laster handelt. Seel führt als Beispiele Naivität, Leutseligkeit, Selbstliebe und Koketterie an, (vgl.: S.246).

Es macht Freude die Betrachtungen Seels zu den einzelnen Eigenschaften zu lesen und darüber nachzudenken. Die dümmste Variante von Arroganz manifestiert sich in glatter Selbstüberschätzung, im Extremfall gepaart mit offener Geringschätzung für den Rest der Menschheit, (vgl.: S.107), doch mitunter ist Arroganz ein Mittel die allzu Aufgeblasenen in die Schranken zu weisen, (vgl.: S.108).

Es ist unmöglich die Reflektionen zu den 111 Eigenschaften an dieser Stelle im Einzelnen zu thematisieren. Mir gefällt an diesen Überlegungen der Gedanke allem letztlich etwas Positives abzugewinnen und aufzuzeigen, dass Schwarz-Weiß unergiebig ist und fast jede Eigenschaft aus ihrer Mitte heraus einen positiven Beitrag zu einem zufriedenstellenden Miteinander leisten kann.

Die gute Botschaft des Buches lautet, dass es im Gedeihen von Individuen und Gemeinschaften auch ohne alles überbietende Superlative geht, (vgl. S. 254). Tatsächlich geht es um die Balance, die einer Eigenschaft alle bedenkenswerte Lasterhaftigkeit zu entziehen vermag und das Tugendhafte in einer Gemeinschaft erst auslebbar macht. Man sollte weder Ernsthaftigkeit, Selbstgenügsamkeit, Frömmigkeit- um drei Beispiele zu nennen- wie eine Monstranz vor sich hertragen, denn dann verpufft die positive Wirkung der Tugend, dann kann daraus Selbstgerechtigkeit und Arroganz oder Schlimmeres werden.

Entspannen wir uns also und führen keine Kriege im Namen der Tugend gegen Bigotte, Blasierte, Dreiste, Dogmatiker und andere lasterhafte Zeitgenossen, sondern schauen stattdessen auf deren sonstige Eigenschaften, denn in der Regel überlagert selten eine bedenkliche Eigenschaft alle guten. Zumeist ist es unser lasterhaft überkritische Blick, der die Tugenden der Mitmenschen übersehen will.:-))

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