Alle Vergnügungen auf jede Weise genießen zu wollen, ist unvernünftig. Alle Vergnügungen ganz vermeiden zu wollen, ist gefühllos." (Plutarch).
Die beiden Bände der "Moralia" des griechischen Schriftstellers Plutarch (geb. um 45, gestorben um 125) umfassen nahezu 2000 Seiten. Herausgegeben wurde das vorliegende Werk von Prof. Dr. Manuel Vogel und Christian Weise. Bei den Werken handelt es sich um eine Neuauflage der deutschen Übersetzung, die zwischen 1818 und 1861 in der von Christian Nathanael v. Osiander und Gustav Schwab herausgegebenen Reihe "Griechische Prosaiker in neuen Übersetzungen" erschien. Damals war es einem breiteren Publikum hier zu Lande dann endlich möglich, Plutarchs "Moralia" zu erkunden und den beachtlichen Reichtum auf den Feldern der Geistes-, Kultur-, Philosophie- ,Religions- und Sozialgeschichte neu zu erschließen, lässt uns M. Vogel in seinem Geleitwort wissen.
Christian Weise, wartet alsdann mit einem editorischen Vorwort auf und beschreibt hier ausführlich den langen Weg der kritischen Ausgaben, informiert ausführlich über die Übersetzungen der "Moralia" Plutarchs in viele Sprachen, übrigens sogar ins Japanische und erteilt auch nützliche Hinweise zur Erschließung der Texte.
In der etwas mehr als eine Seite umfassenden Einleitung erfährt man, was man unter dem allgemeinen Namen "Moralische Schriften" bei Plutarch zu verstehen hat. Dazu gehören alle seine Schriften, die nicht zu der Klasse der Lebensbeschreibungen zählen. Ihrem Inhalt nach sind sie sehr breitgefächert, weil sie sich im Allgemeinen über Gegenstände des Lebens wie auch der Wissenschaften verbreiten und weder Geschichte, noch Mythologie, Kunde des Altertums etc. ausschließen. Einige der Texte sind pädagogisch, andere haben einen politischen Inhalt, wiederum andere sind auf die Philosophie und deren Anwendung auf das Leben bezogen oder auch auf die Bekämpfung entgegengesetzten Lebens, (vgl.: S.21).
Im ersten Band hat man u.a. Gelegenheit Plutarchs Betrachtungen über die Erziehung zu studieren, erfährt auch, was ein Jüngling lesen soll, wie man den Schmeichler vom Freund unterscheidet, wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann, erfährt Aufschlussreiches über Tugend und Laster, um sich dann der Trostschrift an Apollonius widmen zu können. Ich versuche erst gar nicht all das, was auf den fast 2000 Seiten zu lesen ist, zusammen zu fassen, denn die Themenvielfalt lässt dies nicht zu und bin im Übrigen des Ansicht, dass man die Bücher nicht chronologisch lesen muss, sondern sich immer wieder in einzelne Kapitel vertiefen kann, die uns gerade beschäftigen. So hat mir vor Jahren bereits das Kapitel "Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann" sehr gut gefallen, weil Plutarch begreifbar macht, dass man jeden Angriff seiner Feinde dazu nutzen kann, in vieler Hinsicht noch mehr an sich zu arbeiten, um schließlich irgendwann unantastbar zu werden. Natürlich ist die ein langer und beschwerlicher Weg.
Sehr lesenswert sind Plutarchs Gesundheitsvorschriften, die dem Leser indirekt etwas über die medizinischen Verhältnisse in jener Zeit berichten. Seine Ehevorschriften, die man ebenfalls dem 1. Band entnehmen kann, zeigen, dass Plutarchs Empfehlungen dahin gehen, gewaltfrei sein weibliches Pendant in gewisser Weise zu leiten. Für die damalige Zeit war dieser Gedanke schon recht fortschrittlich. Er plädiert dafür, dass Eheleute charakterlich harmonieren sollen, um eine zufriedenstellende Ehe möglich zu machen, (vgl.: S.237), auch dieser Gedanke war fortschrittlich.
Man liest weiter über das Gastmahl der sieben Weisen, auch über seine Betrachtungen zum Aberglauben, von dem er sagt, man müsse ihn aus verschiedenen Gründen, die er auch benennt, meiden. Dabei argwöhnt er, dass der ein oder andere, der dem Aberglauben entgehen möchte, in hartnäckigen Atheismus verfalle und die Mitte, die in der Frömmigkeit liege, überspringe, (vgl.: S.287). Um die Mitte geht es Plutarch eigentlich immer. Diese Suche nach Ausgleich zeigt, dass er ein sehr weiser Mann war.
Es folgt eine Fülle von Denksprüchen von Königen und Feldherren, Römern etc. aber auch von einigen Spartanerinnen, bevor man sich mit den Tugenden von Frauen (im Text steht von Weibern) befassen kann. Hier thematisiert er Trojanerinnen, Perserinnen, Chierinnen und viele, viele andere Frauen, darunter auch das Weib der Pythes, das zur Zeit des Xerxes lebte und das durch seine Weisheit und Güte bekannt geworden ist, (vgl.: S. 455ff).
Über gut 80 Seiten hinweg erörtert Plutarch Fragen zu Römischen Gebräuchen. Zu den Fragen zählen solche wie etwa "Warum nennt man den Bacchus Liber pater?" (S.506).
Interessant sind die Parallelen griechischer und römischer Geschichten, die er alsdann aufzeigt und seine Reflektionen über das Glück der Römer. Im Zuge bestimmter Themenstellungen zu Orakeln überdenkt Plutarch auch den Verfall dieser Orakel, um wenig später über die moralischen Tugenden und auch über die Bezähmung des Zorns nachzusinnen. Hier zeigt er sich wie so oft als guter Psychologe. "Die Gelassenheit aber, die uns in manchen Fällen gute Dienste leistet, gereicht uns in anderen zur Zierde und vermehrt die Freude, aber durch ihre Milde besiegt sie jeglichen Zorn und Unmuth," (Zitat: S.787).
Plutarch lässt sich in der Folge näher über die Gemütsruhe, sprich die Gelassenheit, aus, schreibt dann über die Bruderliebe, aber auch über die Liebe zu den Kindern, um sich ferner zur Geschwätzigkeit und zur Neugierde äußern. All dieses dokumentiert seine große psychologische Einfühlsamkeit. Ich möchte das an einer Textstelle zum Thema Neid und Hass dokumentieren: "Wir wollen un auch den Beweggrund einer jeden dieser Leidenschaften betrachten. Bei dem Hass hat man die Absicht, (E) nach Kräften Böses zu thun, daher bestimmt man den Hass als eine Gemüthsstimmung und als einen Vorsatz, jede Gelegenheit zu beachten, um Böses thun. Bei dem Neide findet dieses nicht statt, der Neidische wünscht Manchen seiner Freunde und Bekannte weder Tod noch Unglück; er fühlt sich nur durch ihr Glück gekränkt, daher sucht er womöglich, den Ruhm und Glanz desselben zu verhindern, ohne sie in Noth und Unglück zu stürzen, sondern er begnügt sich, wie bei einem hervorragenden Hause, den Theil, der ihm Schatten verursacht, hinwegzunehmen," (Zitat.: S. 907).
Dies sind nicht alle Themen, die im ersten Band breit angelegt erörtert werden. Eine Auflistung aller Themen würde den Rahmen einer Rezension leider sprengen, speziell wenn noch ein Blick auf Band 2 mit weiteren 871 geworfen werden soll. Hier hat man Gelegenheit sich zunächst durch 200 Seiten Tischreden zu lesen. Dabei wird eine Fülle von Fragen beantwortet, beginnend mit der Frage: "Darf man beim Trinkgelage über Philosophie sprechen?" Dann folgt ein überaus lesenswertes "Gespräch über die Liebe". Hervorheben möchte ich die Worte "Jeder Liebende wird freigiebig, mittheilend und hochherzig, wenn er auch vorher karg war..," (Zitat 243), womit Plutarch deutlich macht, welche wichtige Bedeutung die Liebe im Leben eines Menschen hat.
Zudem schreibt Plutarch zu politischen Lehren Wissenswertes und porträtiert das Leben der zehn Redner, zu denen auch Hyperides zählte.
Der hochgebildete Schriftsteller äußert sich auch zu physikalischen Lehrsätzen der Philosophen und geht hier Fragen nach, was Natur sei, wie die Welt entstanden ist, mit welchen Element Gott begonnen hat, die Welt zu bilden, ob die Seele ein Körper sei und woraus ihre Substanz bestehe, um nur einige der Fragen zu nennen. Er befasst sich ferner mit der Ursache von Kälte und mit der Frage, ob Wasser oder Feuer nützlicher sei und stellt u.a. Überlegungen zum Fleischessen an
Es folgen eine Reihe so genannter platonischer Fragen, auch befasst er sich mit der Entstehung der Weltseele in Platons Timäus, mit der Widersprüchen der Stoiker, um irgendwann dann fast zum Schluss über 30 Seiten hinweg den Leser zu überzeugen, weshalb man nach Epikurs Grundsätzen überhaupt nicht vergnügt leben kann. Plutarch ist auch mit Epikurs Vorschrift "Lebe im Verborgenen" alles andere als einverstanden und hält dieser Vorschrift Argumente entgehen, an denen sich Epikur sicher die Zähne ausgebissen hätte.
Gefallen hat mir, dass auf den letzten Seiten dann noch Betrachtungen Plutarchs zur Musik nachzulesen sind, die sein Universalgelehrtsein abrunden.
Was auffällt, ist die generelle Gelassenheit, mittels der Plutarch sich allen Themen nähert und das hohe Maß an Toleranz, das es ihm ermöglicht, intellektuelle Neugierde auszuleben und sich unverkrampft über die Vorurteile und Klischees seiner Zeit gedanklich hinwegzusetzen.
Die "Moralia" empfehle ich gerne, heute, morgen und für alle Zeiten.
Sehr empfehlenswert.
Helga König
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